Artgerecht Projekt,  Baby,  Betreuung,  Clan,  Erziehung,  Kindergartenkind,  Kleinkind

Artgerechte Fremdbetreuung?!?

Früher oder später heißt es für alle Eltern, ihr Baby Stück für Stück loszulassen. Viele machen sich intensiv Gedanken über die Frage nach der Betreuung ihrer Zwerge. Ob Großeltern, Babysitter, Tagespflege, Krippe oder Kindergarten: Was ist gut für unsere Kinder? Was ist gut für uns Eltern? Und was gilt es zu beachten? In diesem Beitrag schreibe ich über das Thema Fremdbetreuung und frage erstmal: Gibt es sowas überhaupt? Ich sage: „Nein!“ Warum liest du in diesem Beitrag. Ich gebe dir einen Einblick in unsere Erfahrungen mit dem Thema. Auch erzähle ich dir, was es für eine erfolgreiche Eingewöhnung in Tagespflege oder Kindergarten zu beachten gilt. Doch fangen wir ganz vorne an. Denn schlussendlich beginnt der Prozess des Loslassens direkt nach der Geburt.

Klar, nach 9 Monaten im Bauch ist die Mutter eines Neugeborenen zunächst die einzige nicht fremde Person und Bindungsperson Nummer 1. Herzschlag und Stimme sind bekannt. Hier ist das Baby sicher, findet Nahrung und Nähe. Doch mit der Geburt beginnt die Auflösung der Symbiose aus Mutter und Kind. Weitere Bindungspersonen wie der Vater*, Großeltern, Geschwister etc sind nun nicht mehr nur noch dubiose Geräusche, die gedämpft durch die Bauchdecke zum Ungeborenen hindurchdringen. Ein Neugeborenes ist völlig offen für die Menschen, in dessen Leben es tritt. Seine Fähigkeit, sofort nach der Geburt Beziehungen aufzubauen ist seine Lebensversicherung. Ein neugeborener Homo Sapiens bindet sich primär an diejenige Person, die seine Bedürfnisse am feinfühligsten beantwortet – und das muss nicht die Mutter sein. Darüber hinaus baut es Bindung zu allen weiteren wichtigen Bezugspersonen auf, welche das Dorf der frisch gebackenen Eltern bilden. Um das Kind herum entsteht im besten Fall ein Bindungsnetzwerk aus mehreren Personen, welche die Eltern auf ganz unterschiedliche Weise unterstützen und entlasten können.

Gehen wir von einem voll- und nach Bedarf gestillten Säugling aus, scheint die Bewegungsfreiheit der Mutter in den ersten Monaten in jedem Fall erstmal ziemlich eingeschränkt. Zumindest für Aktionen ohne Kind, denn dieses ist (und bleibt lange Zeit) ein Mitnehmling. Alleine geht’s vielleicht mal zum Friseur, zum Einkaufen oder zur Massage, zum Sport. Doch immer tickt die Uhr im Hinterkopf und die Milchbar sendet irgendwann unmissverständliche Signale, dass langsam aber sicher das Baby ziemlichen Hunger hat. Wer nicht abpumpt oder mit Formular-Nahrung (zu-)füttert, braucht als Stillende den Säugling ebenso wie umgekehrt.

Wer die Mutter in der Anfangszeit unterstützen möchte, sollte vor allem für eine stressfreie Umgebung sorgen. Im Idealfall

  • ist die Mutter im Wochenbett so gut umsorgt, dass sie nichts weiter zu tun hat als zu heilen, zu stillen, zu schlafen und zu Kräften zu kommen. Das Wochenbett sollte unter dem Motto „Mothering the Mother“ stehen.
  • hat die Mutter 24/7 Personen um sich herum, welche sie mit Nahrung und ausreichend Flüssigkeit versorgen, ihr das Handy reichen, wenn dieses mal wieder am anderen Ende des Raumes vor dem Hinsetzen zum Stillen liegen geblieben ist und vor allem: Die sich um das Baby kümmern können, damit die Mutter duschen, essen, schlafen oder in Ruhe tun kann, was auch immer ihr gerade gut tut.

So wachsen von Anfang an auch die Beziehungen vom Baby zu seinen weiteren Bindungspersonen. Wir Menschen sind eine „kooperativ aufziehende Art“ (Herbert Renz-Polster) und eines unserer Erfolgsrezepte ist die Einbindung von sogenannten „Allo-Eltern“ (also weiterer Erwachsener Personen, insbesondere der Großeltern) in die Pflege und Erziehung unseres Nachwuchses. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch diese Allo-Eltern in der berühmten „Fremdelphase“ abgelehnt werden oder dass in bestimmten Situationen – zB bei Schmerz oder anderweitigen starkem Stress – nur Nr. 1 helfen kann. Das belastet oft alle Beteiligten. Während Papa, Oma, Opa etc lernen dürfen, dieses Verhalten des Babys nicht persönlich zu nehmen, steht auf der anderen Seite die Herausforderung, gefühlt 24 Stunden und 7 Tage die Woche zuständig zu sein. Jedes „Mamaaaaaa!“ oder „Nein, Mama macht!“ geht allen Beteiligten durch Mark und Bein. Das Baby oder Kleinkind wird regelmäßig zum Säbelzahntiger. Wir tun also gut daran, gut für uns zu sorgen, damit wir nicht irgendwann doch explodieren oder zusammen brechen.

Loslassen lernen

Mit zunehmenden Alter und sobald das Baby mehr als homöopathische Dosen an Beikost zu sich nimmt, beginnt eine neue Freiheit. Es öffnet sich ein Raum, in dem (wieder) mehr „ICH“ Platz hat. Sowohl auf Seiten der Bindungsperson Nr. 1 als auch beim Kind. Ein neues Wir entsteht im Bindungsnetzwerk. Dieses zauberhafte Band dehnt sich zunehmend und es kommen neue Fäden hinzu.

Als Nr. 1 im Bindungsgefüge gilt es, Vertrauen zu haben. Vertrauen, dass die andere Bindungsperson und das Baby das schon wuppen. Ich erinnere mich an meine erste Yogastunde ohne Baby. Mit Hin- und Rückfahrt war ich zwei Stunden unterwegs. Am Abend. Als ich wieder kam schliefen meine Männer auf der Couch, der kleine hatte sehr viel geschrien und beide waren völlig erschöpft. Doch sie haben es geschafft und von mal zu mal wurde es einfacher. Oder die erste Übernachtung bei Oma und Opa und dieses seltsame Gefühl, ohne mein Baby wieder nach Hause zu fahren. Ist das Handy laut, damit ich einen Hilferuf auch mitbekomme und im Notfall sofort losfahren kann, um den Kleinen wieder abzuholen?

Wenn wir als Mütter nicht lernen, loszulassen und uns mehr Raum zu geben, besteht die Gefahr eines Teufelskreises: Der andere Erwachsene bekommt erst gar nicht die Chance, einen gemeinsamen Weg mit dem Baby zu finden. Er:sie kann seine Kompetenzen in Säuglingspflege (mit Kommunikation und Spiel und allem drum und dran) nicht aufbauen und steht dann irgendwann wie der Ochs vorm Berg mit der (Stoff-) Windel in der Hand und weiß nicht, wie das gehen soll.

Mir hat dabei eine Aussage von Nicola Schmidt sehr geholfen, die ich nur noch sinngemäß wieder geben kann. Es ging um die Einschlafbegleitung durch den Papa, damit die Mutter auch mal wieder am Abend Zeit für sich haben kann: Das Kind weint vielleicht und beschwert sich. Klar, findet es doof, dass die Mama nun weg geht. Doch es wird daran nicht sterben. Der Papa kann es trösten und da sein und schließlich seinen ganz eigenen Weg finden. Erst durchs Tun kann auch hier eine Schlafbrücke gefunden werden. Sei es durchs Tragen, Kuscheln, summen oder brummen. 😉

Alle dürfen in diesem Prozess lernen. Als Mama darf ich vertrauen lernen, dass sich das Kleine auch bei seinen weiteren Bindungspersonen sicher fühlt, gut versorgt ist und ich mich gerade entspannen darf.

Externe Bindungspersonen und familienergänzende Betreuung

Wer als Eltern kein solches Bindungsnetzwerk oder Dorf um sich herum hat, zB weil die eigenen Eltern mehrere hundert (oder gar tausende) Kilometer entfernt wohnen, selber noch arbeiten oder die Bande zu den Nachbarn wegen Zuzug noch ganz zart sind, ist darauf angewiesen, sein Kind schon früh in „fremde Hände“ zu geben. Und während im Süden Deutschlands Mütter blöd von der Seite angeschaut und sogar angefeindet werden, weil sie ihr Baby schon mit oder gar unter einem Jahr in die Betreuung geben, erleben Mütter andernorts erstaunte Blicke und ebenso Anfeindungen, wenn sie offen aussprechen, dass sie zwei, drei Jahre (oder wegen des Geschwisterbabys noch länger) zu Hause bleiben, um die Kinder selbst zu betreuen.

Kein anderes Thema – außer vielleicht das Stillen – wird so emotional diskutiert und ist geprägt von Elternbashing wie die Frage danach, ob Fremdbetreuung nun schadet oder nicht. Und so viel sei an dieser Stelle gesagt: Es gibt hier keinen Goldstandard oder allgemeingültige Aussagen. Denn gut ist das, was sich für euch als Familie stimmig anfühlt und zu euch passt. Und das Tolle ist: Wenn sich eine Situation blöd anfühlt, du an deine Belastungsgrenze kommst oder merkst, dass dein Kind stark gestresst ist – wir haben jederzeit das Recht, unsere Meinung zu ändern.

Unser Weg: Tagespflege mit kleiner Gruppengröße

Mein Plan war so lange ich denken kann: Ich gehe auf jeden Fall nach einem Jahr wieder arbeiten! Zu sehr hörte ich die Stimme meiner Mutter, die damals selbst 3 Jahre pausierte und dann zunächst wieder in Teilzeit einstieg, im Kopf wiederhallen: „Mach dich bloß nicht abhängig!“ In der Schwangerschaft kam zum Glück noch die Stimme meiner Yoga-Trainerin hinzu: „Wart erstmal ab und höre auf deinen Bauch!“

Bei der Planung des Elterngeldbezuges kam mir die zündende Idee. Basiselterngeld für 9 Monate und dann den Rest Elterngeld plus mit Option auf Zuverdienst. Die damalige Einrichtungsleitung ermunterte mich, mich zu melden, wenn ich stundenweise wieder kommen wollte. Und so startete ich im September 2018 mit 6 Wochenstunden wieder im Sozialen Dienst einer Altenhilfeeinrichtung. Ich durfte die Wahl des Bewohner:Innen-Beirats organisieren und half, wo Gruppenangebote sonst nicht hätten stattfinden können. Ich war so dankbar für die ganz anderen Hirnareale, die ich mal wieder nutzen durfte. Meine Dienste hat meine Teamleiterin um die Schichten meines Mannes gelegt, so dass wir uns an 2 Tagen in der Woche die Klinke in die Hand gegeben haben.

Eine große Prüfung im Loslassen war meine Ausbildung beim IKS Hagen zur Stressmanagement Trainerin im Oktober 2018. Schon zwei Wochen vorher begann ich, tagsüber meinen 11 Monate alten Sohn abzustillen, ließ ihn nachts auftanken und vertröstete ihn tagsüber immer öfter mit Fingerfood und Wasser. Ich pumpte ab und lagerte Muttermilch im Gefrierfach, damit sie für die Ausbildungstage aufgewärmt und zur Not per Becher (der feine Herr Frosch verschmähte als Baby so ziemlich jede alternative Darreichungsform mit Sauger) gefüttert werden konnte. Je nach Vehemenz seiner Forderung nach Milch – er hat in diesen Wochen gelernt, per Gebärde nach dem Stillen zu fragen – blieb ich flexibel, doch es wurde nach wenigen Tagen klar: Das schaffen wir! Nicht zuletzt weil wir auch die Großeltern und Tanten aktivierten, um den Papa bei der Bespaßung und „Fütterung des Raubtieres“ zu unterstützen.

Ich machte also „Urlaub für den Kopf“ beim IKS und legte den Grundstein dafür, wo ich heute stehe. Ich erlebte zauberhafte Tage und ließ mich von Viktor Vehresschild und Leonie Manthey das erste Mal so richtig von systemischen Fragetechniken um den Finger wickeln. Dass diese „Wie Küsse Schmecken“ können, hatte ich bereits von Carmen Kindl-Beilfuß gelernt. Kleines Beispiel gefällig?

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Doch ich schweife ab, was meiner Begeisterung für diese Ausbildung geschuldet ist. Diese Ausbilungstage waren für mich die erste große Prüfung im Loslassen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits einen Tagespflegeplatz für den Frosch gefunden und nur wenige Monate später sollte es losgehen. Für uns kam ein Krippenplatz wegen der Gruppengrößen und schlechten Personalschlüsseln nicht in Frage. Diesem Stress wollte ich unser Baby nicht aussetzen. Und gleichzeitig wollte ich wieder arbeiten gehen – und mein Studium fortführen. Unser Kompromiss war also die Tagespflege mit einer Gruppengröße von maximal 5 Kindern. Es fühlte sich wie ein 6er im Lotto an, als wir einen Platz in der direkten Nachbarschaft bekamen.

Wir fanden glücklicherweise sogar unterjährig eine ganz zauberhafte Tagespflegestelle und so begann im Januar 2019 für den Frosch die Eingewöhnung im Kükennest. Ein 40 Stunden Platz, den wir allerdings selten voll ausreizten. Dies ging zu Lasten meines Masterstudiums, das ich ebenfalls wieder aufnehmen wollte. Doch die Prioritäten hatten sich durch das Kind schlichtweg geändert. Doch das ist eine wieder eine ganz andere Geschichte. Also zurück zum Thema:

Was macht eine gute Eingewöhnung aus? Das Berliner Modell

Auch institutionelle Kinderbetreuung ist keine Fremdbetreuung! Denn Tagespflegepersonen, Erzieher:innen und Kinderpfleger:innen werden im Rahmen der Eingewöhnung zu wichtigen Bezugspersonen des Kindes. Unabhängig vom Alter ist erstmal ganz viel Energie in die Beziehung zum Kind zu stecken. Daher ist eine gute Eingewöhnung ganz zentral.

Die Eingewöhnung verlief bei uns super und fast wie im Lehrbuch. Ich hatte vorher recherchiert und das „Berliner Modell“ als einen guten – und vor allem bindungsorientierten – Weg für die Eingewöhnung gefunden. Unsere Tagespflegeperson – eine hoch qualifizierte Frau, die vor ihrer Selbstständigkeit angestellt in Kinderbetreuungseinrichtungen gearbeitet und diese sogar geleitet hatte – war mir auf Anhieb sympathisch und hat mich durch ihre differenzierte Sichtweise und ihren liebevollen Umgang mit den Kleinen überzeugt. Auch sie gestaltet die Eingewöhnungen in Anlehnung an das Berliner Modell, das den Beziehungsaufbau zwischen Kind und Betreuungsperson in den Fokus stellt.

Der Ablauf der Eingewöhnung wird in diesem Modell in sechs Schritte unterteilt:

  1. Information der Eltern: Die Eltern sollten rechtzeitig und schriftlich über die Bedeutung und den Ablauf der Eingewöhnung informiert werden. Auch sollte ihnen vermittelt werden, wie wichtig ihre Anwesenheit bei der Eingewöhnung ist und wie viel Zeit sie einplanen sollten: Mindestens zwei, besser vier Wochen oder sogar noch länger dauert es (siehe unten). Dies sollte bei der Planung berücksichtigt werden.
  2. Grundphase: In den ersten drei Tagen verbringt die Bindungsperson jeweils ein bis zwei Stunden gemeinsam mit dem Kind in der Einrichtung. Während die Betreuungsperson Spielangebote macht und so eine Beziehung zum Kind aufbaut, hält sich die Bindungsperson zurück, bleibt jedoch präsent. Sie ist der sichere Hafen für das Kind und steht jederzeit zum Auftanken zur Verfügung. Sie übernimmt Pflegehandlungen und bleibt die ganze Zeit dabei.
  3. Erster Trennungsversuch: Dann ist es soweit, die Bindungsperson verabschiedet sich das erste Mal vom Kind. Wichtig ist hier die Orientierung am Verhalten des Kindes. Lässt es sich leicht von der Betreuungsperson beruhigen oder ist sogar gleichmütig, sollte die erste Trennung etwa eine halbe Stunde dauern. Beruhigt sich das Kind nicht oder ist sehr aufgewühlt, so sollte die Trennung nur wenige Minuten betragen. Spannend ist, dass sicher gebundene Kinder in der Regel eine längere Eingewöhnungszeit von zwei bis drei Wochen benötigen, während unsicher gebundene Kinder schneller ankommen (ein bis zwei Wochen).
  4. Stabilisierungsphase: Die Betreuungsperson übernimmt nun die Versorgung des Kindes (Füttern, Wickeln) und die Trennungszeiten werden schrittweise – orientiert an den Bedürfnissen des Kindes – ausgeweitet. Die Bindungsperson verbringt weiterhin noch gemeinsame Zeit in der Einrichtung, i.d.R. vor der Trennung. Wann das Kind das erste Mal in der Betreuungseinrichtung schläft, ist ganz individuell zu entscheiden. Helfen kann hier ein Übergangsobjekt, z.B. ein Tshirt, das nach der Bindungsperson riecht. Wenn das Kind sich am 10. Tag der Eingewöhnung von der Betreuungsperson trösten lässt und sich auch ohne die Bindungsperson neugierig und interessiert an Umgebung, Spielzeug und Personen zeigt, gilt die Eingewöhnung als abgeschlossen. Fällt dies dem Kind noch schwer und ist es weiterhin stark belastet durch die Trennung wird die Eingewöhnung verlängert.
  5. Schlussphase: Das Kind verbringt nun täglich mehrere Stunden in der Einrichtung und die Grundlage für die Beziehung zur Betreuungsperson ist gelegt. Diese darf jedoch noch weiter wachsen und sich stabilisieren. Das Kind fügt sich in die Gruppe ein, lernt nach und nach alle Regeln und Abläufe kennen und braucht hier weiterhin eine intensive Begleitung. Die Bindungsperson hält sich für Notfälle nach wie vor bereit und steht zur Verfügung, falls es doch noch Probleme gibt.
  6. Abschluss der Eingewöhnung: Das Kind gilt als eingewöhnt, wenn es sich nachhaltig von der Betreuungsperson trösten lässt, mit Spaß und Freude in die Einrichtung geht, sich beteiligt und die Regeln kennt.

Dieser kurze Überblick stammt aus dem Kita-Fachtext „Das Berliner Eingewöhnungsmodell – Theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung“ von Katja Braukhane und Janina Knobeloch. Das Paper ist im Internet als PDF frei zugänglich.

Weitere Gedanken dazu

In der Grundphase ist es hilfreich, als Bindungsperson selbst eine Beziehung zur Betreuungsperson aufzubauen. Das gelingt in manchem Setting (z.B. in der Tagespflege) leichter als in anderen. Wir zeigen unserem Kind hierdurch: „Schau, diese Person gehört nun zu unserem Dorf. Wir können ihr vertrauen.“

Außerdem sollten wir uns für die Eingewöhnung genügend Pufferzeit einplanen und nicht direkt in der zweiten Woche bereits den Druck haben, dass wir arbeiten gehen müssen. Unser Frosch hat sich seinerzeit in der zweiten Woche direkt einen Schnupfen eingefangen, wodurch wir einige Tage zurückgeworfen wurden.

Wichtig: Nicht nur die Bindungsqualität spielt eine Rolle dabei, wie schnell das Kind sich eingewöhnt, sondern ebenfalls das Temperament. Wenn dein Kind schnell eine Beziehung zur Betreuungsperson aufbaut, heißt das nicht automatisch, dass es unsicher an dich gebunden ist!

Wichtiger als die Quantität der Betreuungszeit ist die Qualität der Betreuungseinrichtung. Dazu gehört natürlich die Qualifizierung der Betreeungsperson sowie die Rahmenbedingungen (Teamgröße, Betreuungsschlüssel, Arbeitsqualität und -zufriedenheit in der Einrichtung, Personalfluktuation, Krankenstand). Und hier ist in Deutschland definitiv noch sehr viel Luft nach oben.

Neuer Alltag mit erweitertem Dorf – und dann kam die Pandemie

Jeden Morgen und Nachmittag war nun ein kleiner Spaziergang Teil unseres Alltages. Ich genoss es sehr, wieder zu arbeiten und mich wieder mit anderen Dingen zu beschäftigen als Stoffwindeln und Beikost. Ich merkte aber auch, dass es eine große Herausforderung war, morgens mit demenziell veränderten Menschen zu arbeiten und am Nachmittag weiter Emotionsarbeit zu leisten mit einem Kleinkind in der Autonomiephase. Die 40 Stunden unseres Betreuungsvertrages haben wir nur selten komplett ausgenutzt, denn trotz der kleinen Gruppengröße war unser Sohn doch ziemlich stark belastet. Nachmittags war er sehr müde und anhänglich. Manchmal zeigte er sehr deutlich, dass er nicht zu „Sanne“, sondern lieber Zeit mit uns verbringen wollte. Im Nachhinein betrachtet habe ich dies viel zu oft übergangen – weil ich eben arbeiten musste. Der Frosch war häufig krank und schleppte uns einige Infekte an. Die vielen „Kind-krank-Tage“ führten bei mir sogar zu einem Personalgespräch über meine Fehlzeiten.

Wir etablierten zusätzlich zur Tagespflege einen Oma-und-Opa-Nachmittag, weil ich auch regelmäßig Spätschicht machen musste. An diesen Tagen wurde der Frosch von Oma oder Opa abgeholt und ich sammelte ihn nach der Arbeit dort ein. Das war sowohl für den Kleinen als auch für mich eine besondere Herausforderung und abends hat er umso mehr Nähe (lautstark) eingefordert.

Wie sehr belastet unser Sohn tatsächlich durch die Betreuung war, wurde mir erst im März 2020 bewusst. Mit dem ersten Lockdown und dem Wegfall der Tagespflege lernten wir ihn noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen. Er spielte viel freier und entspannter. Er wollte plötzlich nicht mehr nur kuscheln und auftanken, sondern zeigte seine ganze Kreativität im Spiel nun zu Hause – statt sie vormittags schon in der Betreuung zu „verballern“.

Erst da wurde mir bewusst, dass es vielleicht nicht die beste Entscheidung war, ihn so früh schon „fremdbetreuen“ zu lassen. Und so führte oben genanntes Personalgespräch dazu, dass ich meine restlichen Monate Elternzeit beantragte. Ich bin von tiefer Dankbarkeit erfüllt, dass das für uns möglich war.

Im Sommer 2020 durfte der Frosch dann nochmal für vier Wochen ins Kükennest, bevor die „Ferien“ anfingen und die Eingewöhnung im Kindergarten im August 2020 begann. Auch hier konnte ich mir wieder Zeit nehmen und das war genau richtig so. Denn trotz dass er die Betreuungssituation bereits kannte, fiel es ihm schwer, sich in der großen Gruppe im Kindergarten einzuleben. Doch der Tag kam, als ich ihn nach 2 Stunden Trennung wieder abholen wollte und er darüber totunglücklich war – er wollte noch länger spielen und schickte mich wieder weg. Danach war es ein Auf und Ab. Häufig mussten wir ihn mit Engelszungen in den Kindergarten co-regulieren. Ihm war es zu laut und das äußerte er ganz klar. Abhilfe haben hier Ohrenschützer gebracht, die wir eine Zeit lang jeden Tag mit in den Kindergarten nahmen.

Die erneute Schließung und das Konzept der Notbetreuung machte es uns nicht leichter. Als wir im Februar 2021 wieder starteten, war auch seine Bezugserzieherin sicher: Die Eingewöhnung war im Dezember 2020 noch nicht abgeschlossen gewesen und im Grunde mussten wir fast von vorne anfangen. Der Frosch ging zunächst nur zwei Tage die Woche zur Notbetreuung und den Rest der Zeit galt es, irgendwie Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen.

Inzwischen geht er wirklich gerne in den Kindergarten und nur noch selten sagt er, dass er nicht hin möchte. Tatsächlich ist er im Juli 2021 das erste Mal wirklich freudig reingerannt, ohne sich von mir zu verabschieden. Ein ganz neues Gefühl für mich und ich hege die große Hoffnung, dass es nun so bleibt. Vor einigen Wochen haben mein Mann und ich ihn zusammen spontan etwas früher abgeholt und er war sehr aufgebracht, weil er noch spielen wollte. Mittlerweile frage ich ihn morgens, ob er früh oder spät abgeholt werden möchte. Die Antwort ist inzwischen immer gleich: „Ich will lange spielen!“ – selbst wenn er kurz nach dem Aufwachen gesagt hat, dass er nicht in den Kindergarten will. Er ist angekommen und fühlt sich wohl. Und das erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit.

Bald beginnt die Sommerblock-Schließung und danach kommen neue Kinder in die Gruppe. Ich bin gespannt, wie das für den Frosch wird, wenn er nicht mehr zu den ganz kleinen gehört. Da er nach dem Stichtag für den Schuleintritt geboren wurde, haben wir ein extra Jahr im Kindergarten gewonnen.

Durch die aktuelle Situation haben wir leider bisher viel zu wenige Kontakte zu anderen Eltern aufgebaut. Das macht es schwerer, den Kindergarten als erweitertes Dorf zu sehen. Dazu kommt, dass wir immer noch nicht umgezogen sind und zur Zeit jeden Tag mit dem Auto fahren. Sobald unser Haus steht und wir nur noch 200m Fußweg zum Kindergarten haben, wird sich auch das nochmal komplett ändern. Ich freu mich drauf.

Mit dem Wissen von heute: Was würde ich anders machen?

Für uns war es genau der richtige Weg. Die Zeit zurückdrehen kann ich ja sowieso nicht. Und doch kann ich mit meinem Wissen von heute sagen, dass wir die Betreuung beim nächsten Kind nochmal ganz anders gestalten werden. Vor allem werde ich nicht nochmal so früh so viele Stunden Betreuung in einer Einrichtung buchen. Leichter wird es die Tatsache machen, dass meine eigene Mutter inzwischen im Ruhestand angekommen ist und bereits angeboten hat, sich beim nächsten Enkelchen intensiver einzubringen.

Davon abgesehen, dass U3-Betreuung echt verdammt teuer ist (bei uns war es gut die Hälfte meines damaligen Teilzeitgehaltes), frage ich mich, ob es das wirklich wert ist. Denn auch das Kind bezahlt einen hohen Preis – in Form von Stresshormonen. Das kann weitreichende Folgen für das ganze Leben haben, denn dadurch wird das Stress-System auf „Gefahr“ gepolt.

Wenn du dir Gedanken machst, wie du das Thema Betreuung für dich und dein Kind angehen sollst, habe ich hier nochmal ein paar Punkte zusammengefasst:

Ab welchem Alter sollte mein Kind von anderen Personen als den Eltern betreut werden?

Das geht von Anfang an! Nicht nur Babys, sondern auch die Eltern profitieren von der Entlastung durch ein Bindungsnetzerwerk. Wichtig ist, dass dein Baby eine Beziehung zur Betreuungsperson aufgebaut hat.

Wie viel Zeit sollte mein Kind in einer Betreuungseinrichtung verbringen?

Es gilt die Faustformel: Je jünger das Kind, desto weniger Stunden! Unter einem Jahr sollte das Baby im besten Fall gar nicht in eine Betreuungseinrichtung gehen. Hier sind andere Alternativen besser geeignet: Die Großeltern, ein Babysitter oder auch Aupair können stundenweise die Eltern entlasten und Zeit mit dem Baby verbringen.

Die Großeltern haben andere Ansichten über Kindererziehung. Kann ich mein Baby trotzdem guten Gewissens von ihnen betreuen lassen?

Eine große Herausforderung ist hier wohl das Loslassen von Erwartungen. Egal ob es der andere Elternteil oder weitere Bindungspersonen wie Oma, Schwiegermutter, Tante … ist. Sie werden ihr Bestes tun, um dein Kind gut zu versorgen. Dein Baby ist hier – in der Regel – sicher und gut betreut!

Kommuniziere deine Erwartungen! Werde dir klar über die Punkte, die nicht verhandelbar sind (z.B. nicht – alleine – schreien lassen, Umgang mit Zucker, etc). Über alles andere lässt sich diskutieren. Wichtig ist eine klare Kommunikation. Es gilt, Ambiguitätstoleranz zu entwickeln und andere Ansichten auszuhalten. Zum Beispiel, wenn die andere Person sich nicht auf Stoffwindeln oder das Abhalten einlassen möchte. Kinder lernen schnell, dass es in unterschiedlichen Settings auch unterschiedliche soziale Regeln und Abläufe gibt.

Wie groß sollte die Gruppe in einer Betreuungseinrichtung sein?

Auch hier gilt eine Faustformel: Je kleiner das Kind, desto kleiner sollte die Gruppe sein. Dies spiegelt sich auch schon im Personalschlüssel für die unterschiedlichen Altersgruppen wider.

Ab wann braucht mein Kind andere Kinder zum spielen?

Oft hören wir das Argument: „Aber dein Kind braucht doch den Kontakt zu anderen Kindern!“ Das ist nur bedingt richtig. Denn schon wenn wir die kleinsten beim Spielen beobachten, wird schnell klar: Vor dem dritten Lebensjahr spielen sie vor allem nebeneinander statt miteinander. Die Kinder brauchen dann noch sehr viel Begleitung beim Spiel. Spielzeuge teilen und tauschen fällt ihnen noch sehr schwer. Etwa ab dem 3. Lebensjahr ist ein Kind motorisch und kognitiv bereit für die gemischtaltrige Kindergruppe.

Unser Kinder sind dafür bestens ausgestattet. Dies zeigt sich z.B. in der Abneigung gegenüber neuen Lebensmitteln (Neophobie), die uns im Alltag manchmal in den Wahnsinn treiben kann, wenn unser Kind diese kategorisch ablehnt. Dieses Verhalten ist normal und tatsächlich eine wichtige Lebensversicherung für unsere Kinder. So schützen sie sich selbst davor, in „freier Wildbahn“ einfach unbekannte Beeren oder sonstiges zu essen, ohne dass ein Erwachsener dabei ist, der ihm sagen kann, ob diese giftig sind.

Der Abschied fällt sowohl mir als auch meinem Kind schwer. Was kann ich tun?

Das war auch für mich zeitweise eine große Herausforderung. Manchmal saß ich noch eine halbe Stunde mit meinem Sohn vor der Tür, damit er noch was auftanken konnte. Doch nicht immer hat es das leichter gemacht und die Trennung nur unnötig in die Länge gezogen. Vor allem, wenn wir Großen selber unsicher sind, merken unsere Kinder das schnell. Daher: Entwickele zunächst für dich selbst Klarheit und Vertrauen. Dann kannst du ein Übergangsritual schaffen. Uns haben zum Beispiel Glücksbringer geholfen oder auch Herzchen, die ich sowohl mir als auch dem Frosch auf die Hand gemalt habe. Bei den Leuchtturm-Eltern findest du ein zauberhaftes Hosentaschen-Handbuch für Übergangssituationen.

Welche Alternativen gibt es zum Kindergarten?

In Deutschland ist der Besuch des Kindergartens nicht verpflichtend. Das heißt, dass du dein Kind guten Gewissens auch zu Hause betreuen kannst, wenn du dir das wünschst und das für euch als Familie passt. Allerdings ist es schlicht nicht artgerecht für uns Menschen, unsere Kinder alleine groß zu ziehen. Schau deshalb, dass du dir in diesem Fall anders Entlastung in deinen Alltag holst. Eine tolle Möglichkeit sind z.B. „Mütter“- bzw. „Elternteams“. Such dir mehrere gleichgesinnte Familien, trefft euch regelmäßig und greift euch unter die Arme. Immer eine Mama/ein Papa nutzt die Zeit für sich, während die anderen gemeinsam die Kinder betreuen.

Zum Schluss

Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Beitrag ein paar Anregungen rund um das Thema Betreuung geben und dich darin unterstützen, eine Entscheidung zu treffen. Es gibt hier keinen Goldstandard und jede Familie ist anders. Mir ist nur wichtig, dass du genau hinschaust. Wie geht es dir mit der Situation? Wie geht es deinem Kind?

Egal, wie du es machst: Es ist gut so, solange ihr euch alle damit wohl fühlt.

Und wenn du feststellst, dass euer ursprünglich gefasster Plan nicht aufgeht – aus welchem Grund auch immer – sei mutig und finde eine Lösung. Die gibt es. Immer.

*Ich gebe mir immer sehr viel Mühe, auch nicht binäre Menschen und Familienmodelle jenseits des gesellschaftlich vorherrschenden Bildes mitzudenken. Ist manchmal gar nicht so einfach… Gib mir gerne Feedback, ob und wie gut mir das gelingt. Und bitte mach mich aufmerksam, falls mir das mal durch die Lappen geht… Danke!

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