Einsame Eltern. Oder: Wie baue ich mein Dorf auf?
Soziale Isolation: Ein Stressor, der in Zeiten von Social Distancing unzählige Eltern noch härter trifft als vorher schon. Denn die moderne Kleinfamilie ist alles andere als artgerecht für uns Menschen. Wir sind eine kooperativ aufziehende Art und brauchen Menschen, mit denen wir uns im Alltag gegenseitig unterstützen. Doch wie sollen sich Kontakte und Elternfreundschaften bilden, wenn es keinerlei Eltern-Kind-Kurse gibt und Eltern-Cafés geschlossen sind? Insbesondere den Eltern, die sich die erste Zeit mit Baby ganz anders vorgestellt haben, fällt die Decke auf den Kopf. In diesem Beitrag findest du Anregungen, was du tun kannst, wenn du mehr mit anderen Familien in Kontakt treten willst und dir langfristig dein Dorf aufbauen möchtest.
Soziale Isolation war schon lange vor der Pandemie ein großes Problem für Kleinfamilien und vor allem Mütter. Doch ausfallende Eltern-Kind-Kurse, geschlossene Eltern-Cafés und die anhaltenden Kontaktbeschränkungen verschärfen diese Situation seit mittlerweile mehr als einem Jahr. Sich ein Dorf aufzubauen erscheint v.a. frisch gebackenen Eltern zur Zeit nahezu unmöglich.
Heute möchte ich dich ermutigen, zu schauen, was denn trotzdem möglich ist. Denn auch wenn es dir vielleicht nicht so erscheint, so hast du trotzdem viele Möglichkeiten, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt.
Meine Nummer 1: Erstmal raus!
Am besten in den Wald. Denn der ist immer da uns empfängt dich mit einer Umarmung. Geh Spazieren oder suche dir ein schönes Plätzchen und erkunde dieses gemeinsam mit deinem Kind. Wenn dein Kind schon älter ist, sei offen für seine Ideen und Vorschläge. Überlege mal, was ihm Spaß machen könnte und dann rein ins Abenteuer: Kletterbäume suchen, Stöcke sammeln, Tiere beobachten, Fahr- oder Laufrad fahren. Hauptsache, es heißt nicht „Spazieren gehen“, denn das finden viele Kinder einfach nur öde.
Alleine mit Kind raus stresst dich? Wenn du lieber andere Menschen treffen willst und niemand für Verabedungen zur Verfügung steht, dann geh in den Park oder auf den Spielplatz. Dort kannst du auch mit Abstand in Kontakt treten, neue Leute kennen lernen oder bekannte Gesichter wieder treffen. Auch andere Eltern sind einsam und viele freuen sich über ein nettes Gespräch.
Du hast Hemmungen einfach mal jemanden anzusprechen? Was ist denn das Schlimmste, was passieren kann? Genau, vielleicht hat dein Gegenüber gerade keine Lust auf Konversation. Das kommt ganz auf Temperament und auch Tagesform an. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin zwar ein recht kontaktfreudiger Mensch und komme leicht ins Gespräch. Doch an manchen Tagen will ich auf dem Spielplatz auch einfach nur meine Ruhe haben. Dann setze ich mich eher abseits hin und versuche erst gar nicht, ein Gespräch anzufangen. Das hat dann weniger mit den Anderen zu tun als vielmehr mit mir selbst. An anderen Tagen genieße ich es dagegen sehr, wenn ich dort bekannte oder auch neue Gesichter sehe. Die Reaktion der anderen auf einen freundlichen Gruß beim Betreten des Spielplatzes zeigt aber häufig schon, ob der- oder diejenige gerade offen ist für Begegnung.
Du weißt nicht, was du sagen sollst? Dann hier ein paar Ideen für den Start:
- „Hey, coole Jacke / Schuhe / Haarband! Wo gibts denn sowas?“ – Komplimente hört jede:r gerne!
- „Seid ihr öfter hier?“
- „Wohnt ihr hier in der Nähe?“
Vermeide eine Art „Verhör“. Versuche stattdessen, in den Austausch zu gehen und erzähle auch von dir. Ich bin mir sicher, du findest selbst noch weitere Punkte am Gegenüber, die dich neugierig machen. Das Thema Kinder ist sicher für den Einstieg sehr gut geeignet. Doch es kann auch gut tun, über andere Dinge zu sprechen, z.B. „Und was machst du so, wenn du nicht gerade Mama:Papa bist?“. Vorsicht: Manchmal sind es auch Patentanten, Großeltern oder sonstige Bindungspersonen von den Kindern. Humor wegen einer möglichen Verwirrung und Lachen über die eigenen Stereotype hilft hier über Fettnäpfchen hinweg.
Wenn dir das Gespräch gut getan hat, dann lass es dein Gegenüber wissen. Vielleicht war es auch so schön, dass du in dir den Wunsch verspürst, den Kontakt zu halten. Dann geh den ersten Schritt:
- „Das war schön!“ Oder auch: „Die Kids haben so schön gespielt!“
- „Kommt ihr Morgen / nächste Woche wieder?“
- Wenn es wiederholt gut passt: Handynummern austauschen!
2. Perspektive wechseln: Was IST möglich?
„Es braucht ein Dorf, um ein Kind groß zu ziehen.“ Dieses afrikanische Sprichwort piekst zur Zeit so sehr. Vielleicht fragst auch du dich, wie du unter diesen Umständen nur dieses Dorf aufbauen sollst? Vielen erscheint das – gerade in der aktuellen Situation – nahezu unmöglich.
Bei allen Einschränkungen haben wir uns im letzten Jahr vor allem gefragt, was denn TROTZDEM möglich IST? Wie können wir unsere (indirekten) Kontakte minimieren und gleichzeitig aus den bestehenden das Beste herausholen?
Uns haben “Premium-Kontakte” durch das letzte Jahr gerettet. Wir haben ganz klar geschaut, wer uns gut tut und mit wem wir leicht unsere Akkus auftanken können. Genau diese Kontakte haben wir intensiviert.
Dazu brauchte es Ehrlichkeit und klare Kommunikation: “Hey, ich merke, du tust mir gut. Ich wünsche mir, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen! Hast du eine Idee, wie wir das schaffen könnten?”
Und dann heißt es: Gemeinsame Lösungen finden. Passen die (Schlaf-) Rhythmen der Kinder zusammen? Welche Uhrzeit passt gut für uns? Wann wird wer hungrig? Wie mobil sind wir und in welchem Umkreis wollen wir uns und unseren Kindern Mikro-Abenteuer und Abwechslung in den Alltag holen?
„Enduro-Strecke“ am Rande des Feldweges in Ratingen-Eggerscheidt Erstmal das Terrain erkunden Ganz schön matschig – Kinder dürfen das!
Im Winterlockdown haben wir uns zum Beispiel mehrmals die Woche für Draußen-Aktivitäten getroffen. Mal waren wir auf dem Spielplatz bei uns um die Ecke, mal beim Spielplatz bei unseren Freunden um die Ecke oder auch mal „nur“ eine Runde um die Felder (siehe Bilder oben). Unser absolutes Highlight war ein Ausflug in den Landschaftspark Duisburg Nord bei Nieselregen-Schauern. Wir haben kaum eine Menschenseele getroffen, die Kinder hatten Spaß und wir konnten in Ruhe quatschen, uns austauschen und ganz neue (bzw. für mich liebgewonnene) visuelle Eindrücke in den Industriekultur-Ruinen sammeln. Es war eine wundervolle Abwechslung in der Tristesse und Einsamkeit des Lock-Down-Winters.
Industriekultur für Groß und Klein im Landschaftsopark Duisburg Nord – Abwechslung und Lichtblick im tristen Januar 2021 Riesen Pfütze als Finale – danach gings auf direktem Weg zum Auto, weil kalt und so…
Wir haben uns abgewechselt beim Aufwand fürs Picknick. Mal gabs selbstgemachte Pfannekuchen oder Waffeln, mal nur Obst und Kekse oder was vom Bäcker. Doch immer eine Auswahl und Leckereien zum Teilen. Alle hatten was davon und diese Zeit hat unsere Freundschaft – und die zwischen den Kindern – so sehr intensiviert. Und auch die Kinder haben uns Große als wichtige Bezugspersonen hinzugewonnen. Wir wissen inzwischen, dass unsere Jungs ohne Probleme alleine bei einer von uns bleiben. Das erste Mal war ganz schön aufregend, als meine Freundin ihren großen Sohn zu uns brachte, um mit ihrem Baby alleine zum Kinderarzt zu fahren. Das war ein schöner, wuseliger Vormittag bei uns und selbst für mich war es eine große Erleicherung, denn die Jungs haben mit nur wenig Moderation wunderbar zusammen gespielt. So hatten wir alle was davon.
Es sei dazu gesagt, dass wir diese Familie bereits beim Rückbildungskurs kennengelernt haben und unsere Freundschaft nun schon seit 3 Jahren wachsen darf. Doch die Pandemie hat ihr definitiv einen Wachstumsschub gegeben.
In der aktuellen Lage neue Kontakte zu knüpfen mag schwerer sein, doch es ist nicht unmöglich, wenn du offen bist und deine Chancen nutzt, statt dich nur zu Hause einzusperren.
Darüber hinaus gibt es auch aktuell zahlreiche Onlineangebote von lokalen Dienstleistern und Hebammen. Vom Geburtsvorbereitungskurs bis hin zu unseren Offenen Artgerecht Treffen am virtuellen Lagerfeuer. Du kannst diese nutzen, um schon jetzt Kontakte aufzubauen, die du zukünftig auch im echten Leben aktivieren kannst. Du bist nicht allein!
Ab diesem Wochenende (ab 28.05.2021) treten bei uns in NRW tatsächlich zahlreiche Lockerungen in Kraft, so dass wir nun ganz bald wieder mit Offline-Angeboten starten können. Endlich werden „Eltern-Kind-Kurse“ explizit in der Verordnung genannt und Familien wieder mehr mitgedacht!
Aktuell sind wir in der Terminabstimmung und ich freue mich schon auf das erste Offene Artgerecht Treffen am richtigen Lagerfeuer im wunderschönen Duisburg-Baerl sowie in der Hebammenpraxis Familienglück in Duisburg-Süd. Auch unser Eltern-Zwergen-Café darf wieder losgehen und Judith steht ebenfalls in den Startlöchern mit ihrer Zwergensprache und ihrem Zauberschlauen Löwenstarken Kindertraining. Ich bin so dankbar und voller Vorfreude! Denn das macht es für uns alle wieder leichter, uns unser Dorf aufzubauen, uns selbst und unsere Kinder zu stärken.
Eltern-Kind-Kurse sind ein wundervolles Setting, um regelmäßig in Kontakt und ins Gespräch zu kommen. Mir z.B. fällt es schwer, mein Netzwerk zu pflegen und ich bin immer unendlich dankbar, wenn meine Liebsten von sich aus die Initiative ergreifen. Denn eins ist klar: Beziehungen zu pflegen, Freundschaften anzubahnen und sich sein Dorf aufzubauen, braucht Energie. Ich muss erstmal einen Samen säen und ihn gießen, damit etwas wachsen kann. Anders gesagt: Eine:r muss den Anfang machen, um eine Aufwärtsspirale aus “Geben und Nehmen” in Gang zu setzen.
3. Evolutionäres Erfolgskonzept: Kooperation = Geben und Nehmen
Der Mensch ist eine “kooperativ aufziehende Art” (Herbert Renz-Polster). Unser Erfolg auf diesem Planeten ist vor allem unserer Fähigkeit zu verdanken, mit anderen Menschen zu kooperieren. Wir tun uns zusammen, um Mammuts zu jagen oder ein Stück Land zu bestellen. Und eben auch um unsere Kinder groß zu ziehen. Denn diese sind die kostspieligsten Nachfahren der Welt – kein anderes Lebewesen leistet sich so viel Zeit und Kalorien für die Brutpflege. Das ist der Preis, den wir für unsere komplexen Gehirne bezahlen. Für unsere Problemlösefähigkeit und Kreativität.
Trotz dieser biologischen Grundlage haben wir Menschen uns in der westlichen Welt in den letzten 200 Jahren ganz weit davon entfernt. Ganz besonders Familienleben ist aktuell alles andere als artgerecht.
Wir leben in einem System, in dem eher über artgerechte Tierhaltung diskutiert wird als darüber, unter welchen Bedingungen Eltern ihre Kinder großziehen. Viel zu wenig sprechen wir darüber, was Kinder brauchen, um zu mental gesunden und starken Menschen heranzuwachsen, welche die Probleme der Zukunft meistern und die Rente der Babyboomer-Generation – sowie deren Ignoranz gegenüber der Klimakatastrophe – bezahlen werden.
Was Kinder dafür brauchen? Sie brauchen Erwachsene, die ihnen vorleben, wie man zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin arbeitet. Denn Kinder lernen vor allem durch Zusehen und Nachahmen.
Und was brauchen wir Erwachsenen, um den ersten Schritt zu gehen?
Wir brauchen vor allem Mut zur Schwäche. Wir brauchen den Mut, um Hilfe zu bitten und uns verletzlich zu zeigen. Dadurch geben wir auch anderen die “Erlaubnis” zu sagen: “Ich schaff das nicht alleine!” So setzen wir im besten Fall eine Aufwärtsspirale aus Geben und Nehmen in Gang. Denn genau für diese Reziprozität sind wir – sind unsere Gehirne – gemacht. Dazu braucht es keinen Seelenstriptease oder tiefgreifende Geständnisse. Du brauchst lediglich ein wenig Selbstbewusstsein und Neugier auf das, was da in deinem Gegenüber schlummert. Spring über deinen Schatten und:
- Sprich darüber, was dich belastet, beschäftigt oder bewegt.
- Und auch darüber, was dir Freude bereitet, was dir hilft oder helfen könnte.
- Antworte auf die Frage „Wie geht’s?“ ausführlicher als nur mit „Muss!“
- Inspiriert euch gegenseitig, was euch aktuell gut tut und macht mehr davon!
- Manchmal ist es schön, doch bleib nicht im Jammern und Beschweren stecken. Schaut nach Lösungen – gemeinsam geht das leichter.
- Geh den ersten Schritt und bitte um konkrete Hilfe! Vielleicht ergibt sich bald eine Gelegenheit, dich zu revanchieren.
Ich wünsche dir und uns allen, dass mit dem Ende der dritten Welle nun wieder etwas Normalität und Erholung einziehen darf. Wir alle haben es uns verdient, mal wieder durchzuatmen, einen Kaffee trinken zu gehen und Dinge zu tun, die schon lange unmöglich waren. Lasst uns langsam herantasten und schauen, was uns wirklich gut tut. Wer uns gut tut. Wie und mit wem wir die wieder gewonnene Freiheit feiern wollen.
Judith und ich haben das heute endlich mal wieder beim Team-Meeting in der Inizio-Espressobar gemacht: Es uns richtig gut gehen lassen und gegenseitig unsere Zuversicht gestärkt. Wir freuen uns sehr auf den Sommer in unserer Wurzeln & Flügel Familienakademie. Auf Lagerfeuer und gute Gespräche. Auf Austausch und „echte“ Begegnung. Darauf Familien in diesen aufregenden Zeiten den Raum für den Aufbau ihres Dorfes in Duisburg und Umgebung zu schaffen.
Willst auch du Teil davon sein?
Geh den ersten Schritt und kontaktiere uns!
Wir haben Zeit für dich und fragen:
„Wie können wir dir helfen?“
2 Kommentare
Pingback:
Pingback: